Autismus und Medizin

Als Kleinkind war ich autistisch recht auffällig, weshalb der Kindergarten mein Verhalten meldete, und ich untersucht werden sollte. Ich musste in ein Krankenhaus und den Abschlussbericht habe ich heute vorliegen. Es wurde festgestellt, dass ich wenig mit anderen Kindern in Kontakt trat und nur für mich allein spielte. Ich schaukelte mit dem Oberkörper, beziehungsweise schlug meinen Kopf in ein Kissen, aber ich war ablenkbar, darum sah man keinen Autismus, sondern eine mentale Überforderung. Die Ärzte verordneten, dass meine Eltern mich nachts mit einem Ledergeschirr ans Bett fesseln sollten, damit ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, und noch heute kann ich nicht mit einem Oberteil schlafen – das Gefühl von Enge und Unbehagen kehrt sofort zurück. Als ich 5 Jahre alt war, erkrankte ich während eines Urlaubs an einer Hirnhautentzündung. Ich kam ins Krankenhaus. Ein Horror für mich, komplett allein und weit weg von der Familie. Ich erinnere mich noch an die schrecklich schmerzhaften Untersuchungen, an mehrere Fremde, die mich festhielten, und an die äußerst schmerzhaften Nadelstiche im Rücken, deren Notwendigkeit ich nicht verstand. Auch hier wurde mein Verhalten und Schlafverhalten kritisiert. Nach dem Klinikaufenthalt wurde ich noch einmal zu einem Kinderpsychiater geschickt. Davon gibt es leider keine Befunde. Ich kann mich heute nur noch an einen netten Herrn erinnern, der sich mit mir unterhielt. Heute weiß ich, dass es damals um Hochbegabung ging und meine Eltern die Befundung abbrachen.

Dann verliefen die Jahre gesundheitlich ganz normal, bis zu einem Ereignis im Dezember 1993, als ich gerade 11 Jahre alt geworden war. Ich war mit meiner Familie im Auto unterwegs zu meiner Oma, als mein Vater in einem Dorf im Erzgebirge plötzlich abbremste und „festhalten“ rief. Ein uns entgegenkommendes Fahrzeug geriet ins Schleudern und prallte aus einer Drehung heraus erst frontal und dann seitlich gegen unser Auto. In der Mitte der Rückbank gab es damals nur einen 2-Punkt-Hüftgurt. Ich wurde also beim ersten Aufprall nach vorn geschleudert, beim 2. Aufprall nach links und beim letzten Aufprall gegen die Leitplanke nach rechts. Nach dem Unfall kamen wir alle bis auf den Vater ins Krankenhaus. Obwohl ich sagte, dass ich Schmerzen am Hals hatte, wurde ich nicht weiter untersucht. Im Entlassungsbericht stand nur von Schürfwunden linker Unterschenkel, Schürfwunde über rechter Leiste und leichte Schmerzen im Brustkorb (Hals-Thorax-Kontusion). Beim Hausarzt schilderte ich dann noch Schmerzen beim Schlucken, Kopf-Wenden und im Brustkorb. Dennoch wurde ich nicht einmal geröntgt oder anderweitig untersucht. Alle schienen gleicher Meinung zu sein: „ES zappelt und ES redet, also ist ES gesund.“ Circa zwei Wochen danach machte sich mein Blinddarm bemerkbar und eine Entzündung wurde so kurz vor Weihnachten erst einmal mit Antibiotika zurückgedrängt. Im Januar kam die Entzündung zurück und der Blinddarm musste raus. Interessant, doch die Mediziner sind heute der Ansicht, dass es sich dabei nur um einen Zufall handeln kann und kein unmittelbarer Zusammenhang zum Unfall besteht. In den folgenden Jahren kamen vielfältige Probleme dazu: Häufige Mittelohrentzündungen und eine Schallleitschwerhörigkeit links mit Begleitung eines Tinnitus. Ich war plötzlich auf alles Mögliche allergisch und bekam Nesselfieber am ganzen Körper. Die behandelnde Hautärztin sagte, es sei alles psychosomatisch und ich solle einfach nicht kratzen, wenn es kribbelt und juckt. Es hat mich über zwei Jahre gekostet die Ausbrüche von Nesselsucht zu unterdrücken. Weiter bekam ich vor allem an der rechten Hand und am linken Bein starke Krämpfe, was man einem Magnesiummangel zuschrieb. Seit dem Unfall litt ich häufig an starken Genickstarren. Mein damaliger Hausarzt quaddelte diese regelmäßig und sagte zu mir ich müsse trotz der Schmerzen meinen Kopf bewegen, sonst bekäme ich einen schiefen Hals. Es traten starke Kopfschmerzen auf (abgetan als wachstumsbedingt), dazu sehr starke Rückenschmerzen und Schmerzen in der rechten Schulter. Erst ein Jahr nach dem Unfall schickte mich mein damaliger Hausarzt zu einem Orthopäden, da er nicht mehr weiterwusste. Leider war bei den ganzen Beschwerden der Unfall in den Hintergrund gerückt. Je älter ich wurde und die Behandlungen nicht den gewünschten Erfolg brachten, wurde alles zunehmend auf die Psyche geschoben und dementsprechend als psychosomatisch erachtet. Die Schmerzen genauso wie die Zähne, die sich nach dem Unfall verschlechterten. Ich bekam immer wieder Wurzelentzündungen, obwohl ich früher nie Probleme gehabt hatte – nicht mal Karies. Die erste Wurzelentzündung an einem Schneidezahn hatte ich im Alter von 12. Der Zahnarzt behandelte diese damals ohne Betäubung. 3 Schwestern hielten meine Arme, den Oberkörper und den Kopf fest. Eine setzte sich auf meine Beine. Die Schmerzen werde ich nie vergessen und damals wollte ich auf dem Stuhl am liebsten einfach aus meinem Körper entfliehen!

Zunehmend hatte ich alles so satt und wünschte mir einfach nur, dass es aufhört, egal um welchen Preis! Kurz vor meinem 20. Geburtstag stand ich auf dem Balkon im sechsten Stock des Wohnheims, in dem ich während meiner Ausbildung wohnte, und starrte in die Tiefe. Ich riss mich aus den schwarzen Gedanken, drehte mich um und schlug mit der Faust gegen die mit Kieselsteinen besetzte Betonwand. Am nächsten Tag musste ich mit der stark geschwollenen Hand zum Arzt und sagte, ich sei gestürzt. Anschließend arbeitete ich weiter, als sei nichts gewesen, aber die Schmerzen sollten mich daran erinnern, dass ich mir in der Nacht zuvor geschworen hatte, am Leben zu bleiben.

Ich wurde in eine psychosomatische Reha geschickt. Dort sprach ich das erste Mal darüber, dass ich nicht erkennen kann, ob mich ein Mensch anlächelt oder auslacht. Die Antwort darauf lautete, ich solle immer vom Positiven ausgehen und zurück lächeln!

Ich begann nicht mehr nur an mir und meinen Empfindungen zu zweifeln, sondern bekam regelrecht Angst, dass man mich irgendwann in die Klapse stecken würde, wenn ich weiterhin sage, dass keine Behandlung wirklich anschlägt. Ich beschloss, nach der Reha den Ärzten einfach zu sagen, dass es mir besser ginge. Irgendwie glaubte ich langsam selbst, dass ich mir alles nur einbildete. Also verdrängte ich alle Beschwerden und mied den Gang zu Ärzten.

Das ging so lange, bis mich 2014 ein schwerer Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule ereilte. Ich möchte hier lieber nicht darauf eingehen, wie mein Besuch in einer Notaufnahme um vier Uhr morgens verlief, nachdem ich mit unbeschreiblichen Schmerzen aufgewacht war und meinen Kopf keinen Millimeter mehr bewegen konnte. Mir wurde nach einem Röntgenbild eine Schmerzspritze in die Hüfte gegeben und ich wurde wieder nach Hause geschickt. Auf Arbeit renkte mich dann ein Arbeitskollege mit chiropraktischen Griffen wieder ein. Zum MRT überwies mich mein Hausarzt. Zu Hause habe ich mir die MRT-Bilder durchgesehen und erkannte neben dem Bandscheibenvorfall auch die seltene Rückenmarkserkrankung Syringomyelie in der Brustwirbelsäule. Als ich das dem Hausarzt sagte, meinte er, ich hätte den Befund schon bekommen. Ich verneinte und erinnerte Ihn daran, dass er mir vier Jahre zuvor ein Empfehlungsschreiben für ein Medizinstudium verfasst hatte. (Leider blieb mir der Wunsch nach einem Zweitstudium Medizin verwehrt.)

Für die Behandlung des Bandscheibenvorfalls wandte ich mich an einen der wenigen Spezialisten für Neurochirurgie, der sich auch mit Syringomyelie auskennt. Er operierte umgehend den Bandscheibenvorfall und setze mir die künstliche metallfreie Bandscheibe Cadisc C ein – dazu später mehr. Bei meinen Recherchen im Vorfeld zu Syringomyelie besorgte ich mir auch das älteste mir bekannte MRT meines Kopfs, und ich erinnerte mich an den Verkehrsunfall viele Jahre zuvor. Bei der Betrachtung des Kopf-MRTs fiel mir eine Veränderung des Mastoid und Felsenbeinbereichs linksseitig ins Auge, und ich fragte den Arzt, ob es sich dabei um eine chronische Entzündung handeln könnte. Der Spezialist gab dies an die Fachabteilung für HNO weiter – ein CT der Region bestätigte meinen Verdacht.

Die Diagnostik der Syringomyelie ergab, dass diese erworben und nicht angeboren ist.

Doch was ist eine Syrinx? Eine Syrinx ist eine Ansammlung von Nervenwasser in der Mitte des Rückenmarks (eine Höhlenbildung). Dabei wird das Rückenmark verdrängt und schädigt. Die Folge sind Nervenschäden bis hin zu Querschnittlähmungen. Es gibt jedoch unterschiedliche Ansichten über die Auswirkungen einer Syrinx. Manche Fachärzte sind der Ansicht, die Schäden wirken sich nur nach unten aus, während andere klar und deutlich sagen, dass es Auswirkungen nach unten und oben gibt.

Der Befund beschreibt mehrere membranöse Verbindungen zwischen Dura und Pia Mater in der sagittalen Richtung, differentialdiagnostisch Verwachsungen. Das können natürlich auch Vernarbungen sein! Und lokal begrenzte Vernarbungen können ein Hinweis auf stattgefundene Verletzungen sein!

Nach der OP an der Halswirbelsäule und einer Mastoidektomie am linken Ohr beantragte ich eine Reha, in der Hoffnung, danach wieder arbeiten zu können. Dies wurde mehrfach abgelehnt. Als mein Krankengeld ausgelaufen war, schickte mich das Arbeitsamt zu einer Amtsärztin, um zu sehen ob ich denn nur simuliere. Die Amtsärztin verfasste nach meinem Besuch einen Brief an die Rentenversicherung mit der Aufforderung, mir umgehend entweder Rente oder eine Reha zu bewilligen. Und siehe da: Ich hatte in kürzester Zeit einen Reha-Bescheid.

Bevor ich die Reha antrat, hatte ich noch einen Termin bei dem Facharzt für Neurochirurgie, welcher mir die künstliche Bandscheibenprothese eingesetzt und die Syrinx untersucht hatte. Bei diesem Gespräch sprach ich ihn auf weitere Ungereimtheiten in MRT-Aufnahmen im oberen HWS-Bereich an. Mir waren da bereits Verdunklungen in Knochenbereichen und unklare Knochendarstellungen aufgefallen. Ich fragte, ob es nicht sinnvoll wäre hier mal ein CT zur genaueren Abklärung durchzuführen. Er wiegelte ab und entgegnete mir, ich bräuchte keinen Neurochirurgen, keinen Orthopäden, keinen Schmerztherapeuten oder Neurologen, sondern nur einen starken (!) männlichen (!) Psychiater. Es erinnerte mich an die DDR und die strengen politischen Umerziehungen, weil man es wagte, unbequeme Fragen zu stellen?

In dieser Reha erhielt ich endlich die gesichterte Autismus-Diagnose. Das war sehr wichtig, nachdem ich jahrzehntelang als Hypochonder galt und sechs Jahre zuvor aus einer anderen Klinik mit den Worten entlassen worden war: „Sie sind, wie sie sind. Doch sie sind kein Autist“.

Nach der Reha beschloss mein Hausarzt eigenständig, ein CT zur Abklärung anzuweisen, was zu einem kontroversten Vorgespräch mit der Radiologin führte, aus dem die Ärztin genervt davonlief. Ihr Befund war dementsprechend negativ. Ihrer Ansicht nach gab es keinerlei Hinweise auf stattgefundene Schädigungen. Alles sei völlig unauffällig.

Ein halbes Jahr später sollte ich bezüglich der Kopfschmerzabklärung noch einmal in eine neurologische Klinik. Dort fertigte man erneut ein CT der gesamten HWS an. Erneut mit dem Hinweis auf keinerlei Auffälligkeiten – obwohl ich einen Neurochirurgen auf die deutliche Abweichung der Positionsmarker der Bandscheibenprothese hinwies (künstliche metallfreie Bandscheibenprothese verfügen über Positionsmarker, damit sie im CT überhaupt sichtbar werden. Bei mir sind das je vier trapezförmig angeordnete kleine Zylinder in der Ober- und Unterseite des Implantats). In den CT-Aufnahmen zeigten sich die Zylinder an der Unterseite des Implantats alles, außer der Trapezform. Zudem war einer bereits deutlich in den angrenzenden Wirbelkörper abgesunken. Ein klarer Hinweis auf einen Defekt des Implantats – nur nicht für den Arzt!

Nach dem Klinikaufenthalt war ich bei einer Psychiaterin, um mit ihr über den Sachverhalt zu sprechen. Sie sagte, ich gehöre zu ihrer Tochter in Behandlung (Neurologin und Oberärztin des zuvor angesprochenen Klinikums) und nicht zu ihr. Psychisch sei alles in Ordnung. Doch ihre Tochter sagte beim nächsten Termin: „Ich sehe in ihnen einen gesunden jungen Mann. Bitte verlassen sie meine Praxis.“ Schade (wieder einmal), dass ich keine versteckte Kamera hatte.

Erneut mied ich die Ärzte.

Da ich meine Berufe im Handwerk nicht mehr vollumfänglich ausüben konnte, begann ich ein Jahr später mit einer Umschulung. Begleitend besuchte ich einen männlichen (!) Psychiater, der beim Erstgespräch keinen direkten Handlungsbedarf sah. Auf meinen Wunsch hin trafen wir uns trotzdem in unregelmäßigen Abständen zum Gespräch, wobei es allerdings eher um technische Dinge wie den 3D-Druck oder die computergestützte Konstruktion ging, was ihn das auch interessierte.

Wegen einer schmerzenden Schwellung am Innenbogen des Unterkiefers musste ich 2019 einen Facharzt für HNO konsultieren. Er vermutete eine entzündete Speicheldrüse. Die Schwellung verschwand über Nacht, doch beim Kontrolltermin erkannte der Arzt auf den CT-Bildern der oberen HWS und Schädelbasis, dass die Mastoidektomie ein paar Jahre zuvor nicht vollständig durchgeführt worden war. So landete ich erneut auf dem OP-Tisch. Der Professor und die Klinik waren unvergleichlich super. Die Gespräche waren auf Augenhöhe. Inzwischen bin ich weggezogen, weshalb ich leider bei ihm nicht mehr in Behandlung sein kann. Die insgesamt vier Operationen am Ohr haben jedoch keine deutliche Verbesserung gebracht, auf die Schmerzen nach der OP kann ich aber gut für den Rest meines Lebens verzichten.

Vor dieser OP musste ich auch meine nun schon seit drei Jahren regelmäßig eingenommenen Opiate absetzen. Ich nahm sie einfach von heut auf morgen nicht mehr und hatte keinerlei Entzugserscheinungen noch eine merkliche Veränderung der allgemeinen Schmerzen.

Während der Umschulung ereilten mich auch starke Rückenschmerzen im unteren Lendenwirbelbereich. Ein MRT zeigte weitere Bandscheibenvorfälle der untersten beiden Bandscheiben. Ich beschloss hier allerdings diese konservativ ausheilen zu lassen und auf Fachärzte zu verzichten. Das geht bis heute ganz gut: Solange ich mich nicht überlaste, sind die Schmerzen erträglich.

Dabei hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit einem Radiologen. Ich zeigte ihm meine CT-Aufnahmen und erzählte von den inkorrekten Befunden? Er sagte, dass er meinen Frust gut versteht und ich nicht der einzige Patient bin, dem es so ergeht. Er hat früher selbst Gutachten durchgeführt, weil er Patienten helfen wollte. Allerdings wurde er dafür vor Gericht regelrecht fertig gemacht. Daher verfasst er heute keine Gutachten mehr. Es ist unfassbar traurig, so etwas zu hören und zu sehen, wie es Ärzte innerlich zerreißt!

Ich machte dann einen privat bezahlten Termin bei seiner Kollegin. Nach ihrer Einschätzung spricht die Sklerosierung im Denskopf (der Stift, auf dem unser Kopf sitzt) des 2. Halswirbels am ehesten für eine verheilte Fraktur. Weiter wollte sie sich nicht äußern. Als ich sie bat, das zu befunden, sagte sie: Da das CT bereits befundet ist, darf sie es nicht nochmal befunden!

Als ich beruflich das CAD-System kennenlernte, welches ich heute unterrichte und supporte und das in der Lage ist, bestimmte Dateiformate aus 3D-Scandaten zu bearbeiten, erkannte ich darin einen neuen Ansatz für meine Fragen. Ich fand eine Software, mit deren Hilfe sich normale CT-Aufnahmen in 3D-Modelle umwandeln lassen. So konnte ich das CT meiner Halswirbelsäule in ein 3D Modell umwandeln, den Bereich der Wirbelkörper separieren und mit dem 3D-Drucker ausdrucken. Anschließend zeigte ich es dem Psychiater, und er war begeistert. Als ich ihm am Modell die übergroßen Griffelfortsätze (proc. Styloideus Ossis Temporalis), die Atlasfehlstellung und die Sklerosierungen zeigte, schaute er mich an und sagte: „Also, ich sehe das auch. Da müssen wir wohl beide zum Psychiater.“ Es folgten Corona Lockdowns und ein ziemliches Durcheinander, den versprochenen Befundbericht mit der Feststellung, dass es keinen Grund für eine psychiatrische Behandlung gibt, habe ich aufgrund seines Arbeitgeberwechsel nie erhalten.

2022 bekam ich zunehmend Schmerzen im rechten Ellenbogen und der Schulter. Daraufhin wurde ein Kontroll-MRT der HWS durchgeführt. Leider zeigte sich nicht nur ein weiterer deutlicher Bandscheibenvorfall unterhalb des Segments mit der künstlichen Bandscheibe, nein, auch die an die Bandscheibenprothese angrenzenden Wirbelkörper zeigten Veränderungen. Beim Erstgespräch mit dem auf Wirbelsäule spezialisierten Orthopäden war ich sehr angespannt und versuchte, sachlich an das Thema der Veränderungen heranzuführen. Auch ihm zeigte ich meinen 3D-Druck der oberen HWS, was er zu meinem Glück interessant und toll fand. Ich schenkte ihm das Modell und er verwahrt es in seiner Vitrine auf. Er diagnostizierte nicht nur als erster eine Atlas-Fehlstellung und aufgrund der ganzen Sklerosierungen auch eine Atlantodentale Arthrose, sondern auch eine multisegmentale Osteochondrose. Dabei erklärte er mir, dass ich für das Erscheinungsbild der Halswirbelsäule viel zu jung bin. Die würde eher zu einem über 80-jährigen passen. Er wollte primär nur den neuen Bandscheibenvorfall operativ behandeln und die Bandscheibenprothese, deren Auffälligkeit er wohl feststellte, in Ruhe lassen.

Nach der OP erwachte ich auf der Intensivstation. Der Arzt berichtete, dass er so etwas wie bei mir noch nie zuvor gesehen hatte: Als er das Operationsgebiet eröffnet hatte, war ihm aufgefallen, dass das Segment mit der künstlichen Bandscheibe völlig instabil war. Er musste nachschauen und mit Erschrecken feststellen, dass von der künstlichen Bandscheibenprothese kaum mehr als ein schwarzer silikonartiger Kern übrig war. Der Rest hatte sich zersetzt. Daraufhin musste er einen kompletten Wirbelkörper ausfräsen und ein Wirbelkörperimplantat aus Titan einsetzen sowie drei Wirbel versteifen. Deshalb war ich auch auf der Intensivstation gelandet, da die OP viel länger gedauert hatte, als ursprünglich geplant. In einem Nachsorgetermin bei seinem Kollegen erfuhr ich dann, dass alle ans Labor gesendeten Proben (Reste der Prothese und Wirbelkörpermaterial) ohne Befund (unauffällig) waren. 

Nach einer Wartezeit von fünf Wochen begann die Reha. Eine Psychologin war sichtlich geschockt, als ich ihr erklärte, was alles vorgefallen war. Insbesondere bemängelte sie die Diagnose Hypochondrie, die aus ihrer Sicht nicht hätte gegeben werden dürfen. Von ihr erfuhr ich, dass diese Diagnose tatsächlich der sprichwörtliche Stempel auf die Stirn ist und nur mit psychiatrischem Gegengutachten und viel Aufwand aus dem System bei Krankenkasse und Rentenversicherung zu löschen wäre.

Die Fachärzte in der Rehaklinik konnten meinen Ausführungen gut folgen und einer der Fachärzte bescheinigte mir mündlich ein sehr hohes Verständnis und Wissen über Radiologie und Befundung. Zudem fallen mir Dinge auf, die die meisten Ärzte gar nicht wahrnehmen. Dennoch sah man sich nicht im Stande, gegen Vorbehandler und Vorbefunde zu sprechen. Zudem dürfe ein Orthopäde nicht einfach so den Radiologen widersprechen. Ein Neurologe riet mir, bei einem Neurologen daheim einen Antrag auf neurologische Reha zu beantragen.

Seither musste ich weitere Rückschläge hinnehmen, was behandlende Ärzte angeht. Der Orthopäde der letzten Operation hat leider die Stelle gewechselt, sein Nachfolger hat mir zugehört. Doch die dringend benötigte Physiotherapie für die seitlich am Hals verfestigte Muskulatur wollte er erst nicht verschreiben, dann verschrieb er mir wenigstens sechs (!) Behandlungen für ein Jahr. Ein Neurologe schickte mich zum nächsten, und als Resultat weiß ich jetzt immerhin, dass Migräne-Medikamente bei meinen starken Kopfschmerzen nicht helfen, sondern die Probleme eher verstärken.

Bereits letztes Jahr gab ich ein Gutachten zu den nicht erkannten Auffälligkeiten bei beiden CT-Untersuchungen in Auftrag. Ich erarbeitete dafür ein Dokument, in welchem ich mich auf die wesentlichsten und deutlichsten Auffälligkeiten beschränkte. Auch dies ergab nichts. Die ganzen Veränderungen der oberen HWS seien nicht existent. Nur die deutlich zu großen Griffelfortsätze (proc. Styloideus Ossis Temporalis) anerkannte der Gutachter. Dies sei jedoch unproblematisch. Ebenso gäbe es weder Hinweise auf stattgefundene  Schädigungen von Knochen, noch Hinweise auf traumatisch bedingte Veränderungen.

Träume ich also alles? Ich bin kein Hypochonder, das wurde mit bestätigt. In meinen Akten steht es aber anders – und die Mehrheit der Fachleute folgt offensichtlich lieber Fehldiagnosen und Schulbuchwissen als ihrer Beobachtung. Allein die seitlichen Sklerosierungsstrukturen sprechen sehr für eine Teilsklerosierung der ligamentären Strukturen als Folge einer Traumatischen Veränderung. Ebenso gibt es kein mir bekanntes Anatomiebuch, in welchem eine vollständig knöcherne Überbauung der Arteria Vertebrale und des C1-Nervs am Atlashinterbogen beschrieben wird. Und es fällt mir unheimlich schwer zu glauben, dass man bei lebenden Menschen nicht nachweisen kann, ob Verletzungen der Vergangenheit stattgefunden haben, wenn das doch sogar bei Skeletten und Mumien möglich ist. Und doch gelte ich als gesund und soll mit diesem Befund leben lernen.

Wenn ich also sage es ist strahlend blauer Himmel und die Sonne scheint, so entgegnet man mir, dass es keine Sonne gibt. Komisch, doch ich wage mich zu erinnern, dass außer mir auch andere Menschen schon einmal die Sonne gesehen haben.

Nach 31 Jahren chronischer Schmerzen und Kopfschmerzen, Gefühlsstörungen und immer wiederkehrender Taubheit in Fingern, Händen, Armen und Beinen kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie sich ein normaler Körper anfühlt oder wie es ist, ohne Schmerzen zu leben. Mittlerweile plagt mich dauerhafter Tinnitus links und rechts in unterschiedlicher Tonlage und manchmal so laut, dass es mir schwerfällt, Gesprächen zu folgen. Meine Zähne sind mittlerweile eine Katastrophe und es fällt immer schwerer sie zu erhalten. Ich war stand nicht nur einmal an der Schwelle zum Suizid, denn scheinbar ist alles falsch, was ich empfinde, fühle und erlebe.

Mittlerweile glaube ich kaum noch daran, Aufklärung zu bekommen. Denn scheinbar bin ich kein Mensch und habe wohl auch keine Menschenrechte.

Nehmen wir mal an, es hätten eingehende Untersuchungen nach dem Verkehrsunfall stattgefunden und meine heutigen Befürchtungen wären damals erkannt worden. Dann hätte die Versicherung des Unfallverursachers nicht nur für die Schäden damals, sondern auch für alle Folgeschäden aufkommen müssen. Heute jedoch ist der Unfall verjährt. Ich gehe trotz aller Beschwerden 40 Stunden und mehr die Woche arbeiten. Auch wenn ich nicht weiß, ob dieser Körper in der Lage ist, die nächsten 25 Jahre bis zur Rente durchzuhalten.

Und ich weiß, was Armut bedeutet und wie sehr ein Magen vor Hunger schmerzen kann. Ich war bis letztes Jahr in Insolvenz, weil ich vor meiner Umschulung nicht mehr in der Lage war, meine Studienschulden zurückzuzahlen. Aufgeben kommt für mich aber nicht in Frage. Wir alle haben nur dieses eine Leben, auch wenn es sich manchmal ungerecht oder hart anfühlt. Ich hatte mir mein Leben als erwachsener Mensch anders vorgestellt. Die Zweifel an mir und meinem Erleben führten zum Verlust des Rückhalts der Familie, von Bekannten und Freunden. Dabei isolierte ich mich nicht nur selbst, sondern ich wurde auch isoliert. Wenn es mir richtig schlecht geht, dann will ich einfach nur meine Ruhe haben. Ich musste lernen, mir selbst zu helfen.

Ich liebe mein Leben, mag neue Herausforderungen und das Austesten der eigenen Grenzen. Nur so lernt man über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und neues zu Entdecken. Die Welt kann wunderschön und herausfordernd zugleich sein. Das macht es spannend. Wie sagte die Trickfigur Darkwing Duck so treffend: „Schmerz ist nur eine Illusion. Aber eine Illusion, die manchmal ganz schön weh tun kann.“

Darum kämpfe ich, auch wenn ich manchmal unendlich müde bin. Die Vergangenheit vermag niemand zu ändern, doch ich kämpfe für eine bessere Zukunft.

 

Spektrum: Autismus

Hobbies:
Entwicklung ergonomischer Gitarren
Musik
Gold- und Silberschmieden
die Natur erkunden
verschiedene Formen des Handwerks und der Kunst
Modellbahn